05.08.2004: 
Wenn das Meer ruft

Die Seefahrt im indischen Ozean - Von Abdurrahman Reidegeld, Köln


Für die Küstenbewohner in Südarabien war und ist das Meer ein vertrautes Gebiet, und bis in die heutige Zeit haben sich viele traditionelle Schiffstypen erhalten.

Doch bis in die 1940er Jahre war der Seemannsberuf auch Haupteinnahmequelle an der Küste, und es war nicht die schlechteste Art, seinen Reis zu verdienen. Ein feingesponnenes Netz des Zulieferungshandels beherrschte die maritime Welt des indischen Ozeans und der arabischen Gebiete: Hartholz wurde aus Nord- und Mittelindien nach Südarabien importiert und an die Schiffsbauwerften in Sohar und Sur (Oman) und Aden (im Jemen) verkauft. Kokosfasern und Kalfalter-Material lieferten die Inseln der Lakkadiven (vor der Malabarküste gelegen), Rohstahl kam aus Ostafrika, Segeltuch aus Äypten via Jemen oder aus Nordindien.

Dreieckssegel am Horizont Die Handelsschiffe, die sich alljährlich im Rythmus der Monsunwinde aufmachten, nahmen neben den Kaufleuten immer auch private Reisende mit, die sich aus verschiedenen Beweggründen nach Indien und weiter nach Asien begeben wollten, darunter auch etliche Sufis, die sich im Laufe der Zeit in den Städten zu eigenen Kolonien zusammenschlossen, zu eigenen Gemeinschaften, die dem Durchreisenden Unterkunft und Schutz gewährten. Auch den meist hinduistischen Fürsten der indischen Westküste lag es nahe, den Handel durch Ansiedlung arabischer Händler zu fördern, da indische Händler kein großes Verlangen hatten, selbständig die arabisch-persischen Routen abzufahren. So wurden in den Stadtstaaten von Dabul, Kambay und Kulam Mali schließlich muslimische Richterämter eingerichtet, die der dortigen Hafengemeinde eine bemerkenswerte Selbständigkeit gaben: die örtlichen hinduistischen Fürsten mischten sich nicht in die Belange der Händler ein und akzeptierten einen Sonderstatus, der interessanterweise dem der muslimischen Handelsgemeinden in dem nichtmuslimischen Reich von Ghana ähnelten: bei Audienzen etwa mussten die Honoratioren der arabischen Händler genauso anwesend sein wie lokale Stadtoberhäupter des Binnenreiches und der Hofstaat, aber sie brauchten sich im Gegensatz zu den anderen Gruppen nicht zu Boden zu werfen oder den Staub zu küssen, sondern gaben durch eine Art Händeklatschen ihre Zustimmung und ihren Respekt kund.

Die Fachleute an Bord Nur ein gut gestellter Handelsherr und Schiffeigner konnte sich die besten Kapitäne und Navigatore leisten. Doch während der Kapitän den formalen Oberbefehl über die Mannschaft und das Schiff hatte - und damit auch bis zur Rückkehr in den Heimathafen an das Schiff gebunden war-, galt das für bekannte Navigatoren nicht. Mehr als einmal verdingte sich ein Navigator lediglich für eine Teilstrecke, besonders dann, wenn ein Handelsschiff nicht nur bis Indien oder Sri Lanka, sondern noch weiter bis nach Sumatra oder gar China segeln sollte. Eine derartige Reise dauerte in der Regel zweieinhalb bis drei Jahre, weil die herrschenden Monsunwinde vor Indiens Südküste einen halbjährigen Aufenthalt im Hafen von Kotabaru oder an der Malabar-Küste erzwangen, und in Südostasien die Taifunsaison in der südchinesischen See durch Abwarten im Sultanat von Sumatra vermieden werden musste. Es waren andererseits gerade diese halbjährlichen Monsunaufenthalte, die natürlicherweise zum Anwachsen der muslimischen Küstengemeinden führten; und die anfängliche Islamisierung geschah in Indien - ähnlich wie in Indonesien und Ostafrika - zu einem erheblichen Teil durch das praktische, friedlich Zusammenleben und die Einheirat der muslimischen Händler und Schiffsbesatzungen in die örtlichen muslimischen Bevölkerungsgruppen hinein. Mit der Entstehung kleinerer muslimischer Seefürstentümer änderte sich das Bild erheblich: Jetzt vertraten die neuen Herrscher eine aktive Handelspolitik, die zu einer dauerhaften Verknüpfung Indiens und des arabisch-persischen Golfs führen sollte. Diese Haltung wurde durch die Moghul-Herrscher noch verstärkt, welche den Edelstein- und Perlenhandel über Südarabien durchführen ließen.

Piraten voraus! Seit jeher zieht Reichtum auch Diebe an, und so traten vermehrt Seeräuber in bestimmten Regionen des indischen Ozeans auf. Dennoch waren vor Verbreitung der Feuerwaffen die meisten Handelsschiffe gut genug durch Bogenschützen und Katapulte vor unliebsamen Überraschungen geschützt. Bei sehr wertvoller Fracht musste man eben im Schiffskonvoi geordnet bestimmte Umwege segeln. Manchmal wurde es allerdings den Herrschern zu bunt: Weil etwa um 860 n.Chr. eine Piratenflotte aus einer Seeräuberhochburg in der Provinz Sind einige abbasidische Handelsschiffe aufgebracht und mitfahrende Frauen und Händler getötet und verschleppt hatten, sandte der damalige Khalif der Banu ‘Abbas [‘Abbasiden] eine Flotte aus, die auch ein erhebliches Landheer mittransportierte, und legte jene Stadt in Schutt und Asche. Auch im 13. Jahrhundert verfuhren die Dehli-Sultane so mit Seeräuberflotten, die sich regelmäßig vor Kambay in Küstenhinterhalte legten und Schiffe überfielen, die zum Landgang Wasser holen wollten oder zur bekannten Reparaturwerft von Kambay und Dabul unterwegs waren. Dies wurde notwendig, weil bis ungefähr 1450 sich alle mittleren und großen Handelsschiffe aus dem arabisch-persischen Golf in Dabul kielholen und auf Trockendock reparieren ließen, bevor sie über Südindien weitersegelten, weil hier gutes Hartholz direkt verbaut wurde und genug Fachhandwerker ansässig waren. Daher bedrohten diese Piraten den gesamten Ablauf des arabisch-indischen Handelsweges. So wurde von einem Navigator eben auch erwartet, die Gefahren einschätzen zu können und dem Kapitän und Schiffseigner die richtige Wachmannschaft und geeignete Soldaten besorgen zu können.

Die Schätze des Seehandels Überall an den Küsten des indischen Ozeans fanden Städte und Reiche ihr Auskommen durch den Welthandel an Edelsteinen und Gewürzen, Parfümen und Duftstoffen: aus Arabien wurde Weihrauch (aus Dhofar und Südjemen) und Ambra (aus Südjemen und Sokotra) nach Indien gebracht, daneben auch Rassepferde (von den nord-indischen Fürsten geschätzt); im Gegenzug kamen aus Nordindien Aloe und Hartholz, Edelholzmöbel und die „indischen“ Schwerter (man unterschied die fränkischen, arabischen, persischen und indischen Schwerter nach Schliff, Schwerpunkt und Schneideansatz), aus Südindien Saphire, Rubine, Diamanten, Beryll und Bergkristall, daneben Pfeffer, Kurkuma, Zimt und duzende anderer Spezereien. Auch der Seiden- und Baumwollhandel war bedeutend, besonders für Luxus-Turbanstoffe und golddurchwirkte Prachtgewänder, die in den verwöhnten Geschäften von Damaskus, Täbriz, Alexandria und Venedig reißenden Absatz fanden. Große Handelsstädte wie die omanische Stadt Sohar im 10. Jahrhundert setzten gleichzeitig auf verschiedene Handelswege: eigene Glaswaren und Pferde für den Export nach Indien, Gewürze für Binnenmarkt und Export nach Italien, Bergkristall und prachtvolle Stoffe für die Fatimiden in Ägypten; dafür kamen aus Nordafrika einerseits und Persien andererseits Goldwährung, aus Syrien Silber und Luxus-einlegearbeiten. Zugleich lieferten die Königreiche in Ostafrika Elfenbein, Tierfelle, Rohstahl (der Damaszener Stahl wurde bis ins 17. Jahrhundert in Syrien mit importiertem ostafrikanischem Stahl erstellt), und die Parfüme, Dufthölzer und Räucherwaren wurden teils nach Syrien und Ägypten geliefert, teils aber auch in den Fernhandel nach China gegeben, wo man diese Waren - angereichert durch spezielle Gewürze und Dufthölzer aus Malaya und Sumatra - gegen Seide und Porzellan einhandelte.

Die Kunst der Navigation Alle Navigatoren benutzten bestimmte Seekarten, die sie vor Konkurrenten geheim hielten. Der Hauptanteil ihrer Kunst aber war die astronomische Navigation: während man im Mittelmeer hauptsächlich nach Sonnenstand segelte, richtete man im indischen Ozean den Kurs nach diversen „Sternkompassen“ aus und behielt den Kurs tagsüber bei. Ein Sternkompass war eine besondere Erfindung der Navigatoren schon seit langen Jahrhunderten vor dem Islam: Eine Gruppe von Sternbahnen, die von einigen markanten Fixsternen im Laufe der Nacht am Himmel gezogen wurden, schneiden den Horizont bei ihrem Auf- beziehungsweise Untergang und setzt so Markierungen am Kreis des Horizonts in der Sicht des Navigators. So bestimmt er den Kurs mit Angaben wie „Drei Fingerbreit rechts vom Untergang des Antares, gemessen im dritten Kompassbereich von 9 Fingern“ (das heißt man nimmt den Sternkompass des Äquators und variiert ihn in bestimmten Breitengraden des Ozeans; der konkrete Schiffskurs liegt also im Beispiel drei Fingerbreit rechts von der passenden Markierung im passenden Sterkompass des gemäßen Ozeanbreitengrades). Jeder erfahrene Navigator lernte die Sternkompasse für seine Routen auswendig, und erst relativ spät schrieben Meisternavigatoren wie der berühmte Schihab Ad-Din Ahmad bin Madschid aus Oman (geb. ca. 838 d.H. / 1435 n. Chr.) ihr Wissen in Handbüchern nieder. Am Bug und Heck der damaligen arabischen Schiffe waren kleine Pfosten auf die Bordwand aufgesetzt, an denen der Navigator Kurskorrekturen ablesen und einstellen konnte, indem er bei Auf- oder Untergang des betreffenden Sterns diesen bei Dämmerung entsprechend anvisierte. Weitere Hilfsmittel des Navigators waren das „Bild“, eine Art Lotleine mit schaufelartigem Gewicht; wurde es in Küstennähe ausgeworfen, klebte man in die Wölbung des Bildes Harzkleber und maß zunächst die Fadentiefe; beim Heraufziehen untersuchte der Navigator dann die in der Wölbung anhaftenden Muscheln, Sand- und Steinchen und konnte feststellen, an welchem Küstenabschnitt man sich genau befand.

Der Fluch des Reichtums Schon immer war Europa von den Waren des Orients abhängig gewesen, und bereits das antike Rom hatte versucht, die Handelsmonopole der östlichen Handelsstädte zu brechen: Gegen Syrien schickte es eine Armee, um das Seidenmonopol zu ergründen; nach Jemen wurde eine große Kriegsexpedition entsandt, um den Weihrauchhandel durch Besatzung Südarabiens zu beherrschen. Beide Armeen gingen bis auf wenige Dutzende von Überlebenden zugrunde - vernichtet durch Wüstenstürme, Beduinenüberfälle, Wassermangel und Krankheiten, vor allem aber aus Unkenntnis der Wege. Eineinhalb Jahrtausende später waren es die Handelsmonopole der islamischen Welt im Handel mit Gewürzen, Seide, Parfümen und Porzellan. Wenn man bedenkt, dass Schwarze Pfefferkörner in Mitteleuropa mit Gold aufgewogen wurden und weit bis ins 16. Jahrhundert als Ersatztauschwährung galten, wird klar, dass nur ein Schiff, das unversehrt von Sturm und Piraten ohne Zwischenhandel nach Europa gelangte, alle Beteiligten reich werden ließ. Die Spanier und Portugiesen, die es in den Indischen Ozean drängte, wurden von dem neuen Elan der Reconquista beflügelt, doch außer der Errichtung mehrerer Forts, der Vernichtung etlicher Handelsstädte und Auslöschung vieler Menschen erreichten sie nichts, weil sie die Art von Handel und Gegenhandel nicht beherrschen konnten. So griffen die Portugiesen 1506 unter Albuquerque vor den Malediven ein arabisches Handelsschiff auf, das Kokosseile und Schiffsmaterial nach Arabien ausführte; da die Portugiesen mit dem Material nichts anzufangen wussten, fesselten sie die gefangene Besatzung und verbrannten sie mitsamt Schiff und Ladung bei lebendigem Leib. Auch die blühenden Hafenstädte in Ostafrika sowie die südarabischen Städte von Qalhat, Qurijat, Masqat, Sohar und Hormuz wurden mitsamt ihren Bevölkerungen vernichtet, jedes entgegenkommende arabische oder indische Schiff versenkt oder geplündert. Schon bald errichteten die Portugiesen Forts und Niederlassungen, so im alten Hafen von Masqat, auch in Goa in Indien, schließlich in Malaka in Malaysia als exponierter Stützpunkt. Doch aufgrund ihrer Vernichtungswut und Inquisition, ihrer geringen Zahl und fehlendem Rückhalt in den besetzten Gebieten, fielen diese Stützpunkte oft durch einheimische Gegenwehr. Auch die osmanische Flotte reagierte auf die fortgesetzte Blockade des Roten Meeres mit einem Feldzug zur See, der 1538 aus von Ägypten via Aden und Masqat auch den Indischen Ozean und die dortigen portugiesischen Flotten erreichte - und sie auf wenige Stützpunkte wie Goa zurückdrängte. Aus Inneroman kommend, konnte schließlich der Fürst Nasir ibn Murschid 1624 die Portugiesen aus Sohar und Masqat vertreiben. Nachdem durch den Suezkanal und vor allem die holländischen und englischen Handelsflotten ein direkter Handelsweg nach Europa bestand, entwickelte sich der Handelsverkehr im Indischen Ozean zu einem lokalen Binnenmarkt, der bis in die 1940er Jahre weitgehend intakt war und noch großteils mit den arabischen und indischen Segelschiffen betrieben wurde. Heutzutage besteht in den meisten Staaten des arabisch-persischen Golfs ein erhebliches Interesse an der eigenen Seefahrtsgeschichte; neben dem Erhalt der noch segelnden Schiffe werden immer mehr Editionen alter Quellen, Ausstellungen und Projekte verwirklicht, und es steht zu hoffen, dass diese jahrtausende alte Tradition auch weiterhin der Nachwelt erhalten bleibt.

 

- Veröffentlicht in der IZ (Islamische Zeitung) -

 

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