26.08.2004: 
Mehr als nur eine bloße Sekundärtugend

Sauberkeit, Hygiene und sinnvoller Umgang mit Wasser sind für die Muslime von großer Wichtigkeit - Von Abdurrahman Reidegeld, Köln


-Von Beginn an war die Forderung nach Sauberkeit eine Grundsatzfrage der islamischen Lebensweise, und so verwundert es nicht, dass der Gesandte Allahs in vielen Überlieferungen die Sauberkeit und die Reinheit als Hälfte des Islam bezeichnete. Doch die praktischen Möglichkeiten der Frühzeit waren sehr begrenzt: Das Wasser musste von den Frauen mit kleinen Krügen zum Haus getragen werden, wo es in größeren Tongefäßen (manche übermannsgroß) aufbewahrt wurde.

Aus diesen Tonkrügen schöpfte man dann den jeweiligen Bedarf in Schalen, Becher, Kochgeräte und so weiter. Dieses System hat sich in ländlichen Gebieten der arabischen Halbinsel stellenweise noch bis heute gehalten. Abwasservorrichtungen, Toiletten-Einrichtungen und Bäder begegneten den Prophetengefährten zum ersten Mal nach der Eroberung der syrischen Gebiete. In etlichen Überlieferungen schimmert das Erstaunen der Prophetengefährten durch, festgemauerte Toilettenräume nach spätrömischem Vorbild vorzufinden, wobei - ähnlich dem Problem, das sich teils auch für uns stellt - sie sich aus Respekt vor der Qibla [Gebetsrichtung] nicht gerade auf den Steinsitz hinsetzen konnten, sondern sich mit Körperdrehung nach rechts beziehungsweise links seitlich hinhocken mussten.

Wasserleitungssysteme Die spätantike Tradition der Kanalisationssysteme in den Städten Nordafrikas und Syriens und das unterirdisch verlaufende Qanat- bzw. Faladsch-System1 aus Iran und Südarabien wurden von den Muslimen erhalten und andernorts auch neu gebaut: So erhielt die Stadt Madrid ihren Namen nach den dort errichteten Qanat-Netzen (aus arab. „Madschra“, Wasserbahn, und „-etu“, einem Ableitungssuffix des damaligen romanischen Dialekts der Region). In den meisten Städten Nordafrikas, Ägyptens und Syriens legte man in der Zeit der islamischen Reiche ein Doppelsystem an: Tönerne unterirdisch verlegte Rohre zur Trinkwasserzufuhr und gedeckte Kanäle zur Abwasserregelung. Dabei standen insbesondere in den ostarabischen Städten an bestimmten Positionen ca. sechs Meter hohe, kastenartige Säulen, in welchen mehrere große Tonröhren als Wasserstandsgleichrichter dafür sorgten, dass das Trinkwasser auch bei unterschiedlicher Bodenhöhe alle Wasserausgüsse in den höher gelegenen Wohngebieten erreichte. In Nordafrika hingegen bevorzugte man kleinere Wasserreservoirs, aus denen das Trinkwasser in gedeckten Tonkanälen genügend Druck zur Verteilung in der Stadt erhielt. Doch die meisten Privathaushalte der islamischen Städte hatten keine eigenen Wasseranschlüsse, und bis ca. 1930 versorgten sich mehr als 80 Prozent der Stadtbewohner in den west- und ostarabischen Gebieten mit Trinkwasser aus Brunnen und Quellen; arme Einwohner mussten bei Städten, die sich nur aus einem Fluss direkt versorgten, auch schon mit Verunreinigungen vorlieb nehmen, weil an Flüssen Wäsche gewaschen und auch manche Abwässer eingeleitet wurden. Schwere Verunreinigungen etwa durch die Gerber und Färber durften aber laut der Ordnungsgerichtsbarkeit (der Hisba) nur weit flussabwärts eingeleitet werden, um Vergiftungen auszuschließen. Bei Ausgrabungen einer um 1050 verlassenen islamischen Stadt in Mittelspanien im Jahre 1979 stellte man fest, dass alle Großfamilien-Wohnkomplexe mindestens eine Toilette aufwiesen. Auch in den heute noch erhaltenen Altbauten vergangener Jahrhunderte - etwa in den Lehmhochhäusern von San’a - finden sich stets Toiletten in Form von abgetrennten kleinen Räumen mit einem Trennungssystem: Feste Stoffe (Kot) wurden separat von den flüssigen (Urin etc.) in getrennten Abflüssen (Tonröhren) abgeführt. Da der allgemeine tägliche Wasserverbrauch zur Körperreinigung nach Quellen und Augenzeugenberichten etwa noch bis in die 1930er Jahre pro Kleinfamilie nur bei ca. 20 bis 30 Liter lag, heute aber durchaus das zehnfache Volumen erreicht, sind die alten Anlagen meist überfordert und die Bausubstanz durch Versalzung und Aufweichung gefährdet, weil in den meisten traditionellen Städten das Fundament mithilfe von Lehm, Holz und dergleichen errichtet wurde und der steigende Grundwasserspiegel den Bauten schadet. Während der Urin durch gemauerte beziehungsweise abgedeckte Kanalleitungen aus der Stadt geführt wurde (entweder flussabwärts zur Einleitung in einen vorhandenen Fluss oder stadtauswärts zur Verdunstung), sammelte sich der Feststoff in Sickerkammern, die von einer eigenen Gruppe von stadteigenen Reinigern ausgeräumt und außer Stadt gebracht wurde. Dieser Ausscheidungsstoff wurde dort sonnengetrocknet und anschließend (besonders in den holzarmen Gebieten) als Brennmaterial zum Heizen der Bäder verwendet. In der Öffentlichkeit hatten die Menschen in kleinen Anbauten für die Gebetswaschungen [Wudu’] die Gelegenheit, ihr Bedürfnis zu verrichten; aber durch die steigenden Bevölkerungszahlen gerade nach dem 15. Jahrhundert mussten in den ebenfalls erweiterten Märkten separate Toiletten gebaut werden. Einige davon sind bis heute - etwa in Aleppo - noch voll funktionsfähig und richten sich baulich nach den umgebenden Nutzbauten aus. Ein anderes Problem der Stadtreinheit stellten die industriellen Abwässer dar, insbesondere der Gerber und Färber. Da laut Zunftvorschrift diese Handwerksstätten - wegen der Geruchsbelästigung - am Stadtrand liegen mussten, beschränkte man die Einleitung auf die flussabwärts gelegene Randzone der Flüsse oder separat angelegten Kanäle.

Die öffentlichen Nutzbauten Da Wasserversorgung lebensnotwendig war und ohne Sauberkeit keine islamische Stadt bestehen kann, wurden alle diesbezüglichen Bauten - Brunnen und Brunnenhäuschen, Bäder und (seltener) Trinkwasserleitungen, als Stiftungen errichtet. Dabei waren die Bäder zugleich gewinnbringend, da grundsätzlich kein einfaches Privathaus ein richtiges Heißwasserbad, noch das Geld für die Aufheizung des Wassers besaß. Außerdem waren Bäder seit dem 15. Jahrhundert - im Gegenzug zu den Kaffeehäusern der Männer - soziale Treffpunkte insbesondere der Frauen, wo auch Heiratspläne geschmiedet und manchmal sogar Frauenfeste gefeiert wurden - zu bestimmten Öffnungszeiten, zu denen natürlich den Männern das betreffende Bad nicht zur Verfügung stand. Für die männlichen Benutzer des Bades waren die Sonderdienstleistungen wie Massage und Heilbadanwendungen interessant; auch war ein Bad immer Anlaufpunkt von Reisenden und fremden Kaufleuten, sodass ein Bad mancherorts ein Geheimtipp für passende Verbindungen in der Geschäftswelt wurde. Dass die Bäder durchaus auch Komfort boten und dieser auch erwartet wurde, wissen wir etwa aus der Bemerkung von Stadthistorikern Syriens um 1100, dass die Leute ein Bad nicht aufsuchen wollten, wenn es nicht schöne Statuen und Bilder sowie Mosaike aufwies. Die Brunnen waren durchweg fromme Stiftungen [Auqaf] und speisten sich oft aus Bergquellen, die man teils mit Qanaten, teils mit Aquädukten zur Ausgangsstelle leitete. Noch heute gibt es zum Beispiel in Tripolis (Libanon) einen Brunnen, der sich aus einer mehr als 40 km entfernten Bergquelle im Libanon-Gebirge speist und durch einen in den Felsen geschlagenen Qanat mit der Quelle verbunden ist (dies ist der einzige echte Qanat im Libanon, ansonsten existieren vor Ort genügend Quellen und ganzjährig wasserführende Flüsse). In einem Versuch um 1990 gab man einen ungiftigen Farbstoff in das Quellwasser in den Bergen, welches nach drei Tagen aus dem Brunnen austrat. Während man die Brunnen mit ihren Stiftungsinschriften noch immer betrachten und meist auch nutzen kann, sind die Brunnenhäuschen weitgehend verschwunden; diese letzteren Wassernutzbauten waren mehreckige, 4 bis 6 Meter hohe Gebäude, verziert mit Wandschmuck, Wasserzapfnischen und einem Metalldach, bei größeren Brunnenhäusern teils auch mit Pavillons im Obergeschoss, auf denen man über dem Geländer geneigt viele soziale Kontakte pflegte. Im Inneren dieser Brunnenhäuser befanden sich oft auch Wasserstandsgleichrichter-Säulen, und bis zu acht Zapfhähne gleichzeitig standen für die Viertelbewohner bereit. Ähnlich wie Brunnen und Brunnenhäuser wurden auch Moscheen wegen der Wudu’-Waschplätze als erste berücksichtigt, wenn wegen einer Wasserknappheit bestimmte Einrichtungen vom Wassernetz getrennt werden mussten. So verfügte im 16. Jahrhundert ein Herrscher, dass ein nicht ganz fertig gebautes Bad abgerissen werden müsse, weil sonst Moscheen, Brunnen und Madrassen [Schulen] keine ausreichende Wassermenge mehr erhielten. Auch Moscheen und Madrassen waren prinzipiell Waqf-(Stiftungs)Einrichtungen; Madrassen und Sufi-Konvente hatten darüber hinaus ja auch stetige Bewohner mit entsprechendem Wasserbedarf, wobei Madrassen durchschnittlich 50 bis 100 Personen beherbergten, Sufi-Konvente aber nur selten mehr als 50. Gerade im osmanisch-hanafitisch geprägten Gebiet hatten Moscheen bei ihren Wudu’-Plätzen höheren Wasserverbrauch, weil nach manchen hanafitischen Meinungen der Wudu’ nur mit fließendem Wasser korrekt war; in malikitisch oder schafi’itisch ausgerichteten Gebieten waren daher oft nicht ausgefeilte Wasserzapf- oder Ausgussanlagen im Einsatz. Bis zur Neuzeit besaßen Moscheen, Madrassen, aber auch Karawanseraien etc. immer sogenannte Wudu’-Wasch-Häuschen, oft überdachte Pavillons inmitten eines offenen Platzes, meist des Gebetshofes, gelegen, an dem jeweils vier bis acht, seltener auch mehr Leute zugleich den Wudu’ vornehmen konnten. Die Technik dazu war ähnlich wie die der Brunnenhäus-chen in den Stadtvierteln.

Eine lehrreiche Bad-Geschichte Hier nun eine biographische Begebenheit aus dem Leben des berühmten iranischen Schriftstellers und Philosophen Naser-e Khosro: Während der Rückkehr von seiner Hadsch, bei der er von seinem Bruder und einem Diener begleitet wurde, verlor der an Wohlstand und ein hohes kulturelles Umfeld gewöhnte Naser sämtlichen Besitz außer ein paar Büchern; in seinem berühmten Tagebuch schreibt er am 20. Scha’ban 443 H / 27. Dezember 1051: „Bei unserer Ankunft in Basra hatten wir, abgerissen und abgezehrt, wie wir waren, durchaus Ähnlichkeit mit Verrückten. Seit drei Monaten hatten wir unsere Haare nicht mehr durchgekämmt. So hatte ich den Entschluss gefasst, das Badehaus aufzusuchen, um mich aufzuwärmen. Denn das Wetter war kalt, und ich hatte nichts mehr zum Anziehen. Ich und mein Bruder waren jeweils mit einem alten Lendentuch bekleidet, ein zerfetztes Wolltuch hatten wir der Kälte wegen einfach über de Rücken geworfen. Ich fragte mich, wer uns wohl in diesem Zustand ins Bad lassen würde. Die Bücher, die ich in einer Satteltasche verstaut hatte, hatte ich gerade unter Wert für einen sehr geringen Betrag verkauft. Die paar Münzen hatte ich in ein Stück Papier gewickelt, das ich dem Badehausbesitzer zu übergeben gedachte. Dafür sollte er uns ein wenig länger im Bad sitzen lassen, damit wir uns gründlich vom Dreck befreien konnten. Doch als wir ihm die paar kleinen Münzen anboten, musterte er uns nur, und da er wohl vermutete, wir wären Wahnsinnige, entgegnete er: ‘Macht, dass ihr fortkommt! Gleich kommen die Leute aus dem Bad heraus.’ […] Die vor dem Badehaus spielenden Kinder hielten uns auch für Verrückte, verfolgten uns, bewarfen uns mit Steinen und johlten. Daraufhin zogen wir uns in eine Ecke zurück und schauten verwundert auf den Lauf der Welt.“ Schließlich erhalten sie durch einen Mann, den sie kennenlernen, Kontakt zu dem Wazir des Herrschers über Ahwaz, der gerade in Basra weilt. Drei Tage später, nachdem sie vom Wezir empfangen und beschenkt wurden, lassen es sich Naser und sein Bruder nicht nehmen, eben jenes Bad wieder aufzusuchen, nun in höfischer Aufmachung: „Gleich bei unserem Eintreten erhoben sich der Badehausbesitzer und alle Anwesenden und verharrten so, bis wir im Bad verschwunden waren.“ Nach diversen Diensten einschließlich Massagen treten sie heraus: „Da sagte der Badehausbesitzer zu seinem Freund: ‘Das sind doch die jungen Leute, die wir damals nicht ins Badehaus eingelassen haben.’ Sie glaubten, wir würden ihre Sprache nicht verstehen. Ich erwiderte indessen auf arabisch: ‘Du hast ganz recht. Wir sind die, die sich die zerrissenen Wolltücher über den Rücken geworfen hatten.’ Daraufhin schämte sich der Mann und entschuldigte sich vielfach. Zwischen diesen beiden Ereignissen lagen 20 Tage. Diesen Abschnitt schrieb ich aus dem Grund, damit die Menschen erkennen mögen, dass man nicht über die Härten, die einem das Schicksal bereitet, klagen und nicht die Hoffnung auf die Gnade und Barmherzigkeit Allahs - groß ist seine Herrlichkeit und seine Gunst - aufgeben soll. Denn Er ist erhaben und gnädig.“

1 Der Qanat (in Iran und Ostarabien, früher auch Al-Andalus) bzw. der Faladsch (in Südarabien) ist ein System von unterirdisch ausgeschachteten Kanälen mit minimaler Abwärtsneigung, auf eine Meile ca. eine Mannshöhe, von der Quelle bis zu den Bestimmungsorten. In Abstanden von ca. 200-500m sind senkrechte Kontrollschächte von der Bodenoberfläche bis zum Wasserkanal ausgebohrt. Die zum Bau und zur Instandhaltung notwendigen Fachleute sind noch heute vorhanden und sorgen in den wasserarmen Gebieten gerade Irans und Omans für die Versorgung der Landwirtschaft und der Oasenbewohner. Bezahlt wurden (und werden) sie vergleichsweise hoch, üblicherweise nach Doppelarmbreite der Felsausschachtung.

- Veröffentlicht in der IZ (Islamische Zeitung) -

 

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